Camouflage - Sensor (2003) Review




Think electronic

Turbulent war die Bandgeschichte der Synthiepopveteranen von Camouflage schon immer. Nach großen Anfangserfolgen in den 1980er Jahren als deutsche Antwort auf Depeche Mode gefeiert, folgten nach dem Ausstieg von Gründungsmitglied Oliver Kreyssig Phasen der musikalischen Neuausrichtung. Ein überwiegend rein akustisch gehaltenes Konzeptalbum und eine EP mit Coverversionen verschreckten Hörer weltweit so sehr, dass die darauffolgende Rückkehr ins elektronische Gewand ab 1993 kommerziell nur wenig Anklang fand. Fehlende Promotion und eine massenmarktuntypische Produktion sorgten ebenfalls für einen steinigen Weg um Studios von Veröffentlichungen zu überzeugen. Kurz vor der Jahrtausendwende und wieder mit Kreyssig vereint, präsentierten die Mannen um Produzent Heiko Meile die markante Elektropopsingle "Thief", die jedoch ebenso nicht die erhoffte Beachtung fand. Ursprünglich als Zugpferd für ein neues Album geplant, ließ das Stück eingefleischte Hörer durch dessen einnehmende Klangstruktur dennoch aufhorchen. Teils fertig produziertes Material blieb jedoch unter Verschluss und es vergingen 4 lange Jahre voller Verschiebungen, Labeländerungen und Umstrukturierungen, ehe 2003 der "Sensor" seine Arbeit aufnehmen konnte.

"Sensor" ist düster und quicklebendig zugleich. Wie auch das schattige Cover mit den Gesichtern der Protagonisten versehen.

Nach kurzem Willkommensgruß durch das Intro, spinnt das energische "Me And You" ein atmosphärisch dichtes Netz aus feinen Fäden zwischenmenschlicher Regungen. Das Songwriting, Camouflages Paradedisziplin sticht auch diesmal hervor. Marcus Meyns einschmeichelnde Stimme gleitet galant über die bittersüß ausgebreiteten Gefühlsebenen. Wenn ihm in "Perfect" die Soundkulisse zu nächtlicher Stimmung zarte Silhouetten orientalisch anmutender Bauten erschafft, übt seine Darbietung eine kühle Faszination aus.
So auch im starken "Harmful", auf dem eine verträumte Gitarrenlinie den Weg zur kraftvollen Hook ebnet. Am Ende des Stücks sorgt er mit viel Gespür für den vielleicht persönlichsten Moment der Platte. Bandkollege Kreyssig singt die Ballade "Here She Comes", unterstützt von klagenden Gitarrenklängen mit viel Feingefühl und abermals fungiert besagter Gitarreneinsatz als tragendes Element, das den ruhigen Songs einprägsame Augenblicke verleiht.
Mit dem dynamischen "I Can't Feel You" wird das Tempo im Anschluss deutlich angezogen. Vital und treibend offenbart sich die zweite Single in der musikalischen Umsetzung. Der Text handelt von zerbrochenen Träumen, falschen Vorstellungen. Trugbildern rosaroter Theorie die nüchterner Praxis weichen. Mit den folgenden Tracks fühlt man sich schlagartig endgültig ins Jahr 1997 zurückversetzt. Die warmen Synthies wandeln von wabernd melodisch beim gediegenen "Lost" hin zu pulsierenden Wogen im eingängig-ultraesken "I'll Follow Behind". Das anschließende in Ambient-Tönen gehaltene "Adrenaline" lässt sich als ausgedehntes Outro des Songs betrachten, nimmt die Power heraus und schafft Raum für Gedankenspiele.

"Blink" wiederum genießt eine Ausnahmestellung. Anfangs eindringlich technoid im Soundbild assistiert Neele Ternes als Featuregast Meyn auf der fein komponierten Instrumierung. Ihr zart gehauchter Gesang verläuft parallel zur stillen Grundstimmung des Tracks, dessen federleichte Hook besungene Blätter im Wind akustisch ansprechend vertonen kann und ein Gefühl von Freiheit vermittelt. Angenehme Erinnerungen an Depeche Modes "Freelove" inklusive.
Während "74 Minutes" mit allerlei spacy Effekten ausstaffiert einen instrumentalen Mikrokosmos kreiert, folgt "Together" der bewährten Abfolge aus drückenden Elektrobeats gekoppelt mit einem ausdrucksstarken Chorus.
Auch das sinnierende "Thief" feiert ein überarbeitetes Comeback. Die positiv schwingende Synthiepop-Variante des Originals ist einer dezenter wirkenden, langsameren Fassung gewichen, die der vorherrschenden Melancholie auf "Sensor" auch durch zugefügte Drums eine deutlich sperrigere Note beschert. Das Stück spart sich all seine Kraft für die funkelnde Hook auf, die einem Feuerwerk gleich dem Song in bunten und hellen Farben neues Leben einhaucht. Das Nachdenkliche wird hier zelebriert.

Abgerundet wird das Album durch das dunkle "You Turn", bei dem sich Meyn und Kreyssig gesanglich abwechseln, doch der Funke will nicht wirklich überspringen. Zu matt und leer plätschert der Song vor sich hin. Der Hidden-Track "Perfect Sensor" bietet leider auch nicht, was der verheißungsvolle Titel verspricht. Anstatt eines verspielten Schlusspunkts werden träge Klänge geboten, die im Nichts versanden und das Album seltsam unspektakulär enden lassen.

Trotz des mauen Finales besticht "Sensor" mit vielseitigen und präzisen Produktionen sowie wohligen Gesangseinlagen, die ein hochwertiges Gesamtbild formen, das sich in keiner Weise vor den großen Vorbildern aus England verstecken muss, sondern eine mehr als ernsthafte Alternative darstellt, hinter der viel Herzblut steckt.
Turbulent in der Entwicklung, doch dann diese Antwort.
Eintauchen in den elegischen Elektronikfluss.

Think electronic


8/10



Kommentare