Depeche Mode - Spirit (2017) Review




Die Welt dreht sich stoisch im Takt der immerselben Melodieführung. Ein Akt der Gleichgültigkeit. Jede Tonfolge eine Dissonanz, die einem Spottlied auf Erfahrung und Weisheit gleichkommt. Statt feinfühliger Instrumente, immer nur großkalibrige Waffenmündungen mit dem Ziel unbändiger Zerstörungswut. Statt Erkenntnis und Verbrüderung, Machtgier und Unterwerfung. Ernüchternde Zustände, die dem Zeitgeist eine hässliche Fratze verleihen. Ein Szenario voll dystopischer Faszination, das die mattschwarze Bühne für Depeche Modes vierzehntes Studioalbum erbaut.

Mit an Bord der "Spirit" auf dem zu Eis erstarrten Weltmeer befindet sich der Brite James Ford (Simian Mobile Disco), Fachkraft für Electrosounds, neuer Produzent und gleichzeitig treibende Kraft hinter einem neuen Kapitel Bandgeschichte. Eckiger, wütender, ja unberechenbarer klangen Depeche Mode seit zwei Dekaden nicht. "Spirit" steht somit auch für das Innenleben einer alternden Band, die alles erreicht hat, sich jedoch neu beseelt fühlt. Das aufmüpfig romantische Individuum der Anfangszeit ist dem verzweifelten Aufschrei des Kollektivs gewichen. Zumindest zu Anfang des Albums.

"We Feel Nothing Inside" klagt Dave Gahan im majestätisch treibenden Opener "Going Backwards". Jeder technischer Errungenschaft folgt mentaler Zerfall, mechanisch prasseln die Drumkits auf das fragile Grundgerüst nieder und formen das Zerrbild einer steril gewordenen Welt, von Mikrochips und Maschinen dominiert. Menschen hausen in seelenlosen Betonburgen, frostige Orte von denen einst viel Wärme und Licht ausging.
Eine taumelnde Karawane anthrazitfarbener Häuserkerker formiert sich, in deren Mitte Gahan vehement eine Revolution herbeisehnt, ob fehlender Reaktion resigniert, ja sogar trotzig die schwerfällige Masse herausfordert ("Where's The Revolution"). Der Mittelteil folgt einer verträumt-hypnotischen Passage repetetiver Struktur. Der Hörer wird jedoch durch sich im Hintergrund stetig steigernde und scharf geschnittene Drumsets zurück in die surrende Realität zurückbefördert und bleibt der Lösung weiter fern.

Szenenwechsel.

Im diffus-orangenen Laternenschein lehnt Gahan an verwittertem Mauerwerk und sinniert zu gediegenen Tönen über Kontrollverlust und Schuldfragen ("The Worst Crime"), aufkeimendes Schlagzeugspiel bleibt in der Finsternis verhangen. Die Stille wird jäh durch technoid-eingefärbte Elektronikschübe durchbrochen. "Scum" setzt auf punktgenaue Aussteuerung, verzerrte Detailfragmente und eine überaus atmosphärische Architektur, die Dave in gewohnt lässiger Gangart durchschreitet.

Das folgende "You Move" zelebriert laszive Wallungen zu moderner Produktion, klirrend kaltem Tastenmotiv und einer nach dem düsteren Anfang des Albums beschwingten Grundstimmung, ohne den quarzitgrauen Nebelpalast zu verlassen. In diesen zieht sich Gahan in "Cover Me" sofort wieder zurück und hängt zu sanftem Ambientsound den Gedankengängen nach, die sich ab Mitte des Tracks in pulsierenden Synthwellen entladen, die die unmittelbare Umgebung überfluten, sich stromlinienförmig pumpend ausbreiten, um danach wieder zurück in die immerwährenden Schatten zu fließen. Für "Eternal", dem ersten Solo von Martin Gore pinselt das Soundbild gar dunkelste Farbtöne auf die ausgebreitete Leinwand. Auf dieser besingt Gore Vaterliebe in ihrer reinsten Form im Auge des radioaktiven Sturms, welcher sich auch akustisch an einer Stelle des Stücks in grollend-bissiger Ausführung andeutet, kurz die zarte Aura zu durchstoßen versucht, doch das Innere Momentum obsiegt für den Augenblick.

Zurück zu den dampfig warmen Uferlandschaften der Mississippiebenen des Vorgängers. Zu abendlicher Stimmung parkt Gahan die Delta Machine und stolziert im gleißenden Sonnenuntergang, untermalt von bluesy Taktraten mit allerlei Störgeräuschen garniert.

Eines der Highlight findet sich in "So Much Love". Es scheppert, kracht und vibriert im Hintergrund des dynamischen Tracks, während Gahan, bestens durch Gore unterstützt eine der markantesten Hooklines der letzten Alben abfeuert. Stolz und frei von allen Unterdrückungen zeigt der Song auch viele Grundelemente des modernen Depeche Mode Sounds, erwähnenswert sei hier das stimmige Twang-Gitarrenthema, das noch lange nachhallt und dem Akustikchaos eine temporäre Ordnung verleiht. "Poorman" übt sich in schonungsloser Kapitalismuskritik vor der Kulisse mächtiger Bassgebirge und pluckernder Elektronik mit Blues-Zitaten im Saitenspiel versehen.

Das einst lodernde Feuer. Erloschen. Orte an denen gemeinsame Erinnerungen beheimatet waren, verkommen zu schemenhaften Ruinen und der zweisame Weg erreicht seinen finalen Punkt, zugleich offenbart er den ungeschönten Blick auf ein Scherbenpuzzle und trotzdessen wird der entschlossene Schritt in die Zukunft gewagt. "No More (This is the Last Time)" ist ein emotional starkes Werk, voll melidiöser Momentaufnahmen samt eingängig austarierter Hook. Ein letzter wehmütiger Schwenk in die Vergangenheit zeigt sich im eingestreut funkelnden Klangbild, als Symbol sinnlicher Stunden.

"Oh we failed", berühmte letzte Worte Martin Gores.
Für den Abschluss kleidet Ford eine gore'sche Ballade in ein topmodernes Gewand. Soundtechnisch aktueller und doch so zeitlos klang Martin nie. Es glitzert, pocht und rattert, erlaubt sich eine leichte BoomBap-Ästhetik  (die ihm verdammt gut steht), verliert jedoch nie den spacy Fokus auf eine ätherisch-hochtechnisierte Zukunftsvision und gleichzeitige Rückschau ("Fail"). Die letzten Momente sind luftiger Balsam nach all der Düsternis, die einen so wohlig in ihren soghaften Bann zog.

"Spirit" funktioniert auf Albumlänge prächtig, bündelt viele bewährte Stärken und forciert neue Elemente. Noch immer eine eigene, besondere Liga.

8/10

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