De/Vision - World Without End (1994) Review



Funkenschleudernde Lavafontänen ragen wie gleißende Leuchtfeuer in den schattig geschwärzten Nachthimmel. Gewaltig und impulsiv bebildert dieses smaragdrote Naturschauspiel einen urtiefen Ausbruch gebündelter Energien. Nach Jahren der Demobänder und Compilationsbeiträgen debütierte Anfang 1994 der erste offizielle Langspieler De/Vision's (zwichenzeitlich hatte Gründungsmitglied Stefan Blender die Gruppierung verlassen) und wie schon das lodernde Coverbildnis seine fiebrige Aufwartung beim gespannten Hörer machen durfte, brennen sich in der Folge die Zehn ausgesuchten Stücke des Albums in die tänzelnd berauschten Gehörgänge ein.

"Dinner Without Grace" entführt zugleich in verschlungene, katakombenartige Gangsysteme, deren graumelierte Wandfassaden als stummes Geleit für die drückend-hämmernde Songstruktur nebst nebulös harrender Melodik und hypnotischen Gesang Steffen Keths dienen, die sich wie ein weißer Wurm durch die engumschlungene Struktur des bröckelnden Gemäuers quetschen, während an der Erdoberfläche wallende Nebelbänke über verkrallte Baumverästelungen gleiten und das bläuliche Mondlicht sanft filtern. Doch schon im nächsten Stück wähnt man sich urplötzlich in einem gut gepolsterten Zugabteil auf der Fahrt durch sommerliche Idylle ("Your Hands On My Skin"). Wohltemperierte Brisen hauchen über sich biegende Lichtungspfade, orangeleuchtende Sonnentupfer tauchen die Umgebung in wärmende Farbtöne und die poesievolle Landschaft zieht an einem vorbei. Zeit zum sinnieren ob der Schönheit des Moments, der gesammelten Augenblicke und eigener Verdrängungsmechanismen? Und die Bilder werder kraftvoller.  

"Slum Child" verzückt mit mediteranen Soundwellen und scharf gezackten Drumsets, lädt ein zur Reise in opulent ausstaffierte Fischerdörfer mit kunstvoll verzierten Erkern, Zinnen und Bögen, bis hin zum geheimnisumwitternden Höhlenheiligtum in der brausenden Meeresbucht. Doch auch auf sonnendurchflutende Momentaufnahmen folgt nocturnale Schwere. In "Perfect Mind" erlebt man tönernde Synthwogen, seelenzerfarsernd wabernd und eins mit schattengleich-wohligen Gesangslinien.

 Das offerierte Nachtgemälde dehnt sich nun aus. Hohlwangige Ruinenformationen umgeben von kauerndem Buschwerk bilden einen schweigenden Kreis aus schwermütigen Verschwörern, zerfallene Fensteröffnungen blicken wie leere Augenhöhlen in die Stille. Nach tragendem, gar sakralem Beginn mit bleiernen Klavieranschlägen verkommt "Time Stands Still (Tonight)" ab der Hälfte zum sphärisch gehauchten Erlebnisstrudel, der mit soghafter Würde umklammert und an pittoresk-verwunschenen Heckenlabyrinthen und erhabenen Brunnenbauten vorbeiführt. "The Way You Treat Me", der nächste Track im mentalen Schattententempel, verbindet stoisches Schlagzeugwerk und beschwörenden Gesang mit dem Ausbruch aus dem schwarzen Zimmer der Zweifelsucht. Gen Ende gesellen sich geisterhafte Chöre in diese garstig erotische Zwischenwelt aus monotonen Drumstößen und unnahbar betörenden Charisma und vollenden den gewagten Sprung aus dem Zwiespalt hin zum soundstrukturell ähnlich gelagerten "To Be With You". Das Stück garantiert mit markig gesetzten Basssätzen und dynamisch ausgefeilten Streichern den direkten Zugang zu neblig verspiegelten Tanzflächen.

"Falling" wandelt auf anderen Pfaden dieses Dämmerkönigreichs. Eine ebenso mysteriös- wie einnehmende Melodie die von Verhängnis und Klagelauten erzählt ist zentraler Bestandteil des gemächlich rauschhaften Songs, der in sturmumwölkten Nachtpassagen seine undurchdringliche Melancholie wie ein tiefschwarzer Schemen auf moosbewachsene Hügel legt. Ganz in der Nähe dann die sinistren Umrisse eines dunklen Gruftgewölbes, spärlich durch brennende Fackelreihen in unwirkliche Zerrbilder zerpflückt, unbändiger Wind zerrt am verwitterten Eingangstor, überwucherte Fassadenteile, an denen sich unwirkliche Silhouetten in unersichtliche Ecken drücken. Sie alle bilden das Grundgerüst des instrumentalen "The Day Before Yesterday" und suhlen sich in erquickendem Dunkelglanz. Das mattfarbene Bühnenbild ist also bereitet für ein kolossales Finale dieser tosend-melodischen Tour durch die akustische Düsternis.

"Try To Forget" startet dann dort ,wo das Album angefangen hat und macht es doch ganz anders. Sich in epochal-elektrisierter Schauerromantik labend, melidiös veredelt in treibend ausgeführter Rhythmik und mustergültigem Pacing setzt der Track ein letztes Ausrufezeichen unter ein beispiellos packendes Debut, das überraschend routiniert serviert wird.

Aus den flirrendem Ascheregen der Lavaströme formieren die aschigen Lettern "Unversed in Love".

9/10



Kommentare